Wolfgang Engel 2004 vor dem Schauspielhaus
© Rolf Arnold

Ein Nachruf für Wolfgang Engel von Alexander Sense

 

Der 22. September 1995 war in der Geschichte des Leipzig Theaters ein historischer Tag. Wolfgang Engel inszenierte, zur Eröffnung seiner Intendanz am Schauspiel Leipzig, Peter Handke „Die Stunde da wir nichts voneinander wussten“. Fünf Jahre nach dem angeblichen Ende der Geschichte und in einer Zeit großer Umbrüche brachte Engel alle Schauspielerinnen und Schauspieler seines Ensembles auf die Bühne des Schauspielhauses, wo sie den gesamten Abend ohne Worte spielten. Mit diesem großartigen Statement reichte Wolfgang Engel der Stadt die Hand und gab einen klugen Kommentar zur Übergangsgesellschaft.

Engel, der am Theater als Schauspieler begann, war in den letzten Jahren der DDR Hausregisseur am Staatsschauspiel Dresden und zu einem der bedeutenden Theaterregisseuren des Landes avanciert. Und wie bei seinen Kollegen Thomas Langhoff, Alexander Lang und Frank Castorf hatte man auch bei Engel immer das Gefühl, angekommen waren sie in keinem der Gesellschaftssysteme, denen sie in ihrem Leben begegnen durften.

Wolfgang Engels Leipziger Intendanz war künstlerischer Ausdruck dieses Gefühls. Im ersten Jahr setzte er ganz auf aktuelle Texte und Stücke und bekam umgehend die Ablehnung der Übergangsgesellschaft zu spüren. Seine zweite Spielzeit stand deshalb unter dem Motto Klassiker. Aber auch hier ging es nicht um Museumsabende. Armin Petras‘ „Minna von Barnhelm“ mit DDR-Bezug wurde zum Leipziger Theaterskandal mit knallenden Türen im Minutentakt. Engel selbst inszenierte Shakespeares „Richard III“ und legte, wie auch bei seinen späteren Interpretationen klassischer Stoffe, die Mechanismen der Macht  offen.

Getragen wurde sein Theater in den 13 Jahren seiner Intendanz von einem phantastischen Ensemble, das regelmäßig zu schauspielerischen Sternstunden beigetragen hat. Dass Engel mehrere Schauspielerinnen und Schauspieler von größeren Häusern des Landes abgeworben wurden, hat er hingenommen.

Der Stadt schenkte er in den Jahren seiner Intendanz drei große Spektakel. Hier ließ er sich von Benno Besson inspirieren, der in den 70er Jahren an der Berliner Volksbühne ein ähnliches Konzept verfolgt hatte: Im gesamten Haus auf allen Bühnen einen ganzen Abend verschiedene aktuelle neue Texte spielen. Und mit Goethes „Faust“ und Schillers „Wallenstein“ bezog er verschiedene Orte der Stadt in seine mehrstündigen Inszenierungen ein.

Neben den großen Dramen brachte Wolfgang Engel auch Schlagerrevuen  und Komödien auf die Theaterbühnen der Stadt.

Im April 2008 verabschiedere er sich mit „Molière oder die Verschwörung der Heuchler“ von Michail Bulgakow vom Leipziger Publikum. Bulgakow zeigt in seinem selten gespielten Stück einen Künstler, der darum ringt, seine Weltvorstellungen im Widerspruch zu den Mächtigen zu erkämpfen. Eigentlich vom Autor in Zeiten des Stalinismus geschrieben, bezog Engels Interpretation auch unsere damalige Zeit mit ein, in der Politik Mittel für Kunst und Kultur kürzte, was Engel damit kommentierte, dass ohne Theater die Krankenhäuser dieses Landes noch voller wären.

Und so wusste die Überganggesellschaft, die im ersten Jahrzehnt der Nullerjahre zu Ende ging, weiterhin nichts voneinander, was in den folgenden Jahre durch vermehrte Polykrisen zum Ausdruck kam.

Herzlichen Dank an Wolfgang Engel, durch dessen Arbeiten wir im Theater hoffen, träumen und in eine bessere Zukunft sehen durften.

Wir werden an ihn denken und ihn vermissen.