Scheitern, scheitern, immer scheitern, besser scheitern, lieber Matthias Hummitzsch, wie oft hast Du mir nicht dieses Zitat um die Ohren gehauen, nicht nur in der Szene, nein, auch außerhalb dieser, als ob Du es zu Deiner Lebensmaxime gemacht hättest, oder sollte es vielleicht Ausdruck gewesen sein, einer allgemeinen künstlerisch – schauspielerischen oder überhaupt gar lebensumständlichen Unzufriedenheit?
Aber nun sind wir ja schon mittendrin im Geschehen und wir wollen doch systematisch vorgehen und an die Anfänge zurückgehen. Also angefangen hat es mit unserer ersten Begegnung 1970, als da ein gelockter Jüngling in der Theaterhochschule, in der Wächterstrasse zum Unterricht erschien, lange Texte dreschen musste, in einem ständig verrauchten Zimmer, entschuldigend sei hinzugefügt, bei allerdings ständig geöffnetem Fenster, und ab und zu verführt wurde eine mitzurauchen, wie er mir gestand. Nach 2 Jahren Studium an der Hochschule, dann 2 Jahre Studio in Halle, wo er seinen letzten grundlegenden Schauspielschmiss erhielt, mit welchem er dann in einer ersten Aufbruchsstimmung mit anderen Kommilitonen in sein 1. Engagement nach Senftenberg aufbrach, um wieder einmal das Theater neu zu erfinden. In diesen „Zeiten des Aufruhrs“, wenn sie auch vielleicht damals ein wenig bescheidener ausfielen und in dieser Stimmung ging es dann weiter nach Schwerin, von wo aus mehrere unüberhörbare theatralische Impulse in die Republik ausgesandt wurden, sei es nun mit einem höchst merkwürdigen „ostdeutschen“ Liederabend, oder mit seltsam neuen „Matrosen von Cattaro“ oder dann mit jenem legendären „Faust“, den wir alle sehen wollten, ich auch, zumal ja unser Faust bereits vor der Tür stand. Und anlässlich eines Vorstellungsbesuchs dieses Faust’s, in welchem Du den Wagner gabst, kam es dann nach der Vorstellung zu einer freudigen, feucht-fröhlichen Wiederbegegnung, in welcher ich beiläufig anregte, sich doch vielleicht mal nach Leipzig zu orientieren. Du jedoch in Deiner wohlbekannten scheuen Zurückhaltung und vielleicht auch in einer etwas schlitzohrig-gespielten Bescheidenheit, dieses zurück wiesest.
Aber siehe da, mit welch überraschter Freude dann die Genugtuung als ein Jahr später, also 1981, in der Spielzeiteröffnungsversammlung bei der Vorstellung der neuen Kollegen, hier auf dieser Bühne, der Name „Matthias Hummitzsch“ fiel. Und nun begann Dein steiler Aufstieg. Zunächst natürlich noch klein und bescheiden, eine „Lemure“ im „Faust“, die mir das Grab zu schaufeln hatte. Und nun könnte ich ausholen zu einer schlagenden Bildzeitungs- Sensationsschlagzeile „Von der Lemure im Faust zur Titelfigur – welch ein Weg“. Aber dazwischen liegt eine Wegstrecke von 20 Jahren. Meine Damen und Herren, sie werden mir gestatten, bei diesem Streifzug durch 34 Jahre dieses Schauspieler-Lebens, nur die Stationen anzulaufen, in denen wir gemeinsam auf der Bühne standen, in unmittelbarer oder auch oft nur in mittelbarer Partnerschaft. Ich möchte betonen, es gab unendlich viele Ausflüge und Erfolge außerhalb dieses gemeinsamen Weges, die aber aufzuzählen unseren Zeitrahmen sprengen würden. Nach der „ Lemure“ nun schon der „Rodrigo“ im „Othello“. Und zu welchen Überraschungen Du fähig warst; als man in einer Vorstellung vergessen hatte Dich als Leiche von der Bühne zu entfernen, – aus bösartigem Schabernack unterstelle ich mal – ließest Du Dich per Drehscheibe in Othellos Schlafzimmer drehen und ich hatte mit unterdrückter Wut Dich als Leiche zu ignorieren.
Ein erstes Mal gab es die „3 Schwestern“, die ja dann noch einmal auf uns zukamen, allerdings in einer völlig neuen Rollenkonstellation, während ich in der 1. Inszenierung der Werschinin war, warst Du es dann 10 Jahre später in der 2. Der „Brackenburg“ im „Egmont“ folgte, der „Kreidekreis“ schloss an, der „Cassius“ im „Cäsar“, der „Ventidius“ in der „Herrmannsschlacht“, und Dein herrliches, markerschütterndes Gebrüll wenn Du dann jeweils von der Bärin zerrissen wurdest; die „Übergangsgesellschaft“ kam, jenes Vorwendestück das so oft gespielt wurde. Und „Strindberg’s“ „Vater“ kam und wir den blödsinnigen Regieeinfall des Regisseurs verfluchten, eine Zigarre zu rauchen, die wir uns doch beide gerade das Rauchen abgewöhnt hatten. Aber wir rauchten und sogar wieder mit Vergnügen. Und mit wie viel köstlicher Freude ergötzten wir uns an :“Nöth“, dem Namen jenes Bediensteten, den wir zu rufen hatten, um Rechenschaft zu fordern, weil er wieder einmal irgend was mit der Magd angestellt hatte. Diesen Namen brüllten wir dann auch immer wieder außerhalb der Vorstellungen durch’s Haus, vielleicht weil er so klangintensiv war oder weil er vielleicht auch ein bissel was von „Not“ verkündete. Und der „Revisor“ folgte. Wir im Vordergrund, der großen Rede Chlestakow’s lauschend, Du im Hintergrund als „Ossip“, und wenn im Vordergrund Chlestakow auf seine Wohnung in der Bel’Etage zu sprechen kam, Du im Hintergrund bei der Erwähnung dieses „Bel’Etage“ wie ein Hund belltest, zur jeweils großen Freude von uns , weil Du uns zeigtest mit welch skurriler Hintergründigkeit Du zu denken vermochtest, aber auch zum Unverständnis einiger anderer Kollegen. Und der „Wienerwald“ kam , „mein Gott, wie der die Salami frisst“. Und endlich „Tabori“ mit seinen gewaltigen „Goldbergvariationen“, dem jenes anfängliche Zitat entstammt. Und letztlich „Steinwalds“ mit den beiden unterschiedlichen Brüdern, Du der „fortgeschrittene“ Wessi, ich der „zurückgebliebene“ Ossi.
Dann kam es zu jener absurden Zwangsevakuierung, Du wurdest ins Exil getrieben um ja kein 15jähriger zu werden, ein blödsinniger Vorgang. Aber schon ¾ Jahr später erschienst Du ja wieder auf der Bildfläche, und bist nun, allen zum Trotz, mehr als ein 15jähriger geworden; stiegst ein mit dem totkranken „Eduard IV.“ im „Richard III.“, und wir konnten mit heimlicher Schadenfreude Deine Kämpfe sowohl mit Deiner exzellenten Gehhilfe, als auch mit Deinem Richardpartner beobachten. Der „Proctor“ in der „Hexenjagd“, und dann Dein wunderbarer „Kent“ im „Lear“. Und alle Figuren immer wieder mit einer scharfen Charakteristik ausgestattet. Nicht vergessen will ich jenes Zweipersonenstück namens „Kricket“. Mit welchem Horror wir das Stück lasen, 80 unvorstellbare Seiten irrsinniger Text, dann aber überraschenderweise eine 18seitige Stückfassung in die Hand bekamen. Unsere Haltung aber blieb weiterhin kritisch und skeptisch, die sich auch darin ausdrückte, dass Du, bei Deinem Auftritt jeweils an jedem Vormittag um 10, mit 22 Kricketschlägern beladen die Szene betratest und mir diese laut krachend und auch ziemlich unwillig vor die Füße knalltest. Und mit dieser Gereiztheit begann dann jeweils die Probe. Aber versöhnt wurden wir dann nach und nach in den Endproben, als wir zu spüren begannen: mein Gott, wir kommen ja an! und letztlich mit großem Bedauern dann hinnehmen mussten, dass das Stück, mit dem wir doch einen so schönen Erfolg hatten, vom Spielplan genommen wurde.
Eine letzte Station war der „Sonnenuntergang“. Wie viel Lachstürme hast Du ausgelöst als Du zum 1. Mal, den abwegigen Regieeinfall des Regisseurs befolgend, im Schottenrock erschienst, weil Dein „Prof. Geiger“ ja aus England anreiste. Aber schließlich gewöhnten wir uns auch daran, und es wurde ein so schöner Abschied nehmender „Sonnenuntergang“. Bis hierher, wie gesagt, waren wir des Weges gemeinsam gegangen, und aus der Anzahl der Stationen die ich aufgezeigt habe, und die ja nur die Hälfte sind, dessen was Du ansonsten noch zu bewältigen hattest, ist zu ersehen, wie vielfältig, umfangreich und ausschließlich Du positioniert warst. Unsere Begegnungen bei den „Alten Meistern“ oder bei unseren diversen Funkeinsätzen, u. a. sogar mit einer „Faust-Wagner“ Aufnahme des Osterspaziergangs, der noch heute ab und an gesendet wird, kann ich auch nur streifen, ebenso kann ich auch Deinem eindrucksvollen „Tartüffe“ nur Erwähnung tun. Desgleichen Deinen Tätigkeiten im Gebäude gegenüber, wenn Du versuchtest Deine Gaben weiter zu geben an eine neue Schauspielergeneration.
Ich, wie gesagt, war ausgeschieden, Du aber bist fortgeschritten auf neuen Wegen und einem neuen Intendanten in die Arme. Nur 2 Rollen aus dieser neuen Ära will ich herausheben die mir zum Erlebnis Deiner Schauspielkunst wurden und die mich wieder teilnehmen ließen an der Beharrlichkeit Deiner schauspielerischen Sendung, Deines maßgeblichen Maßstabs, Deiner hohen professionellen Fertigkeit. Das waren Dein „Arzt“ im „Zauberberg“ und Dein „Kutusow“ in „Krieg und Frieden“. 2 Figuren, in deren Unterschiedlichkeit Du aufzeigen konntest wessen Du befähigt bist. Ein „Faust“ kam auch noch einmal, aber doch in einer etwas fremderen Version.
Aber auch diese Ära ging zu Ende und schon sind wir angelangt bei einem 5. Intendanten und in einer wiederum neuen Epoche, und sind sozusagen wiederum in „Zeiten des Aufruhrs“ gelandet und bei dem heutigen Abend und Deinem „Miller“, den Du uns in gleicher Eindringlichkeit erleben ließest. Und nun soll Dir für dieses Dein Schauspiel-Dasein heute der Theaterpreis verliehen werden. Lieber Herr Hummitzsch: ich kenne Sie und weiß wie peinlich Ihnen das alles ist, aber da musst Du nun durch und beruhige Dich, es ist ja noch nicht der Nationalpreis, sondern zunächst der Theaterpreis des Freundendeskreises Schauspiel. Und vielleicht gelingt es Dir ja noch, bei Deiner vitalen Lebenshaltung, Deiner unverwüstlichen Beharrlichkeit, einen weiteren Intendanten zu erleben, so dass Du damit dann den Guinnesrekord von 6 erlebten Intendanten und den gleichzeitigen Verschleiß von Fünfen zu verzeichnen hättest.
Lieber Matthias, sei beglückwünscht, bleib tatkräftig, bleib reisefreudig und unternehmungslustig, bewahre Dir weiterhin Deine höchst erquickliche kritische Ironie, die oft einen Regisseur aus den Angeln zu heben vermochte, wir aber, die Umstehenden, uns krampfhaft beherrschen mussten, um nicht prustend herauszuplatzen, uns aber auch zeigte mit welcher Tiefgründigkeit Du versuchtest, Dich einer Figur zu nähern, um ja nicht in eine gefällige Oberflächlichkeit abzugleiten.
Bleib so, unverfälscht und direkt, zeig’s uns und ihnen und überhaupt immer wieder uns allen, und so kann ich Dir zum Schluss nur noch zurufen „Sichtlinie, Hummitzsch, Sichtlinie, noch nie was von Sichtlinie gehört?“.